Auszug aus meiner aktuellen Novelle

Auszug aus "Wie mich meine Nachbarin und der Tresenphilosoph noch mehr verstörten"

Hochzeiten, yeah jippie yeah

Man könnte sagen: Alle Jahre wieder. Man ist auf Hochzeiten. Man (fr)isst, trinkt, tanzt und labert. Was einst Wein, Weib und Gesang war, ist heute nicht mehr Drogen, Sex und Rock’n’Roll, sondern Alk, Chicks und Westerland. Das nur am Rande. Jedenfalls war wieder einer dieser Tage, an dem ich zu einer Hochzeit eingeladen war. Auch ich habe ein wenig Spaß daran, anderen eine Freude zu machen, und da mich eine Freundin, die heiratete, einlud, ging ich zu ihrer Hochzeit, obwohl ich sonst niemand so richtig kannte. Die erste, die mir als echt hübsch auffiel, war mit ihrem Freund/Mann da. In meiner inneren Frustration über diese Erkenntnis sah ich jedoch noch jemand anders bei ihr stehen. Mein erster Gedanke war: Voll mein Typ. (Wobei es eigentlich „Typus“ heißen müsste, sonst klingt es ein wenig schwul, wenn man den Satz davor nicht kennt…) Sie gefiel mir in der Tat noch besser, als die Erste. Ich musste sie einfach ansprechen. Einige Hochzeitsspiele und Pils weiter überlegte ich mir einen Plan. Vor dem Partysaal ging es erstmal in einem Treppenhaus quadratisch nach unten, um einen Aufzug in der Mitte herum. Ich setzte mich raus, wartete einfach bis sie mal vorbeikam (aufs Klo oder so) und sobald es soweit ist sage ich – und hier höre ich schon wieder den kostenlosen Newsletter des Dating-Coaches, meinen besten Freund in dieser Angelegenheit, heraus – „Hey, hast du eine Emailadresse?“ Sie sagt ja, ich hole einen Stift und einen Zettel, der so aussieht, als ob ich ihn nicht für diesen Moment in die Innentasche gesteckt hätte, z.B. ein Kuvert-Fetzen, aus meinem Jackett, halte sie ihr hin und sage: „Schreib sie mir auf“, während ich ihr mit dem Kinn nach oben zunicke. DAS war zumindest der Plan, der in dieser Perfektion nur durch mein jahrelanges Dating-Newsletter-lesen geschaffen werden konnte. Eine Email wirkte unverbindlicher und lockerer als eine Telefonnummer, zudem suggerierte ich mit diesem Vorgehen Selbstsicherheit. Ein Hoch auf suggestive Dating-Psychologie. Ich saß draußen und jeder kam mal kurz raus, nur sie nicht. Ich checkte Mails mit meinem Smartphone, schrieb auf noch unbeantwortete SMS zurück und SIE war nicht da. Es frustrierte mich. Es machte mich fertig. Es schubste mich in eine Grube aus Melancholie. Dort fühlte ich mich wohl. Es war dort dunkel. So düster wie meine Laune.

Es musste also ein anderer Plan her. Ich sollte direkt zu ihr hingehen und sie nach ihrer Mailadresse fragen. Oder ihr meine auf einem Zettel einfach geben, während ich sage: Hey, meld dich mal.

Letzten Endes saß ich grübelnd da, während ich noch ein Pils trank. Ich musste nach diesem unbedingt zu Trinken aufhören. Sonst verliere ich meinen Führerschein, falls ich von den Carabinieri aufgehalten werde. Mut antrinken war also nicht. Fuck.

Als sie zum Buffet ging, um sich noch ein Schoko-Mouslè, oder wie das heißt, zu holen, schaute sie mich kurz an. Es konnte gar nicht sein, dass ich ihr nicht gefiel. Mein Anzug war perfekt und nicht zuletzt meine Krawatte. Starke, volle, aussagekräftige Farben, die jeden sagen lassen: DER.hat.Stil. Tja, aber es blieb bei einem Blick. Später kam sie tatsächlich zu mir her und holte mich mit ein paar Anderen zu einem dieser dämlichen Hochzeitspiele von meinem Platz ab. Eigentlich war es trotzdem ganz lustig. Es brachte mich aber nicht weiter. Sollte es mir etwas sagen, dass sie mich aus der 50-Menschen-starken Party zusammen mit 5 anderen geholt hat? Die naheliegendste Lösung ist meist die Richtige, heißt es. Warum sollte meine Freundin ihr nicht gesagt haben, sie solle unbedingt auch den sich langweilenden, mit seinem Handy rumspielenden Jungen holen? Danach saß ich wieder auf meinem Platz. Bevor sie geht, gehe ich zu ihr hin. Ich zieh den Zettel und Stift-hinhalten-Plan durch.

Später sah ich sie ihre Handtasche tragend hinausgehen. Sie ging und ich blieb sitzen. Ich wollte mich nur noch verlieren.  Ich sagte Tschüss zu meinen Sitznachbarn, winkte anderen zum Abschied flüchtig und ging. Ich rannte die Treppen nahezu hinunter, setzte mich ins Auto, ließ es an und fuhr los. Bei 5000 Umdrehungen im zweiten Gang wollte ich immer noch nicht schalten. Die Schnarchnasen vor mir konnte ich mit gewisser Befriedigung mit 140 auf der Landstraße überholen. Ich ging mit einer Freude wie Dr. House sie hat nach dem Parken in meine Wohnung, warf alles im Gang hin und ging zum Bierkasten. Ich will nicht sagen, dass ich mich hasste, aber irgendwie in die Richtung ging es. Was-wäre-wenn-Szenarien spuckten durch meinen Kopf. Wäre sie nicht da gewesen, hätte ich noch nichtmal in der scheißwarmen Bude mein Jackett über langem Hemd mit perfekt sitzender Krawatte angelassen. Ich tat es für sie und sie ging einfach. Ich kann die Namen der Frauen nicht mehr zählen, die ich auf ähnliche Weise in meinem Leben verloren habe. Am Flughafen kennen gelernt und aus irgendwelchen Hemmungen heraus kontaktdatenlos in den Flieger eingestiegen. Mit teurem Flugzeugalkohol versucht meinen Schmerz über eine weitere Frau zu lindern. Das es war, sagt Yoda in meinem Kopf.

P.S.: Zu der Frage: "Wie viele größere Sachen hast du bisher geschrieben?": Es gibt zwei fertige Novellen von mir (2006, 2007), eine unvollendete (2007) und ... eben die, aus der ihr gerade einen Auszug gelesen habt (2009-2011).

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